Als am Morgen des 5. Oktober 1849 die erste Dampflokomotive mit fünf Waggons aus Richtung Krefeld im Bahnhof Anrath einrollte, war der Bahnsteig zwar mit Menschen gefüllt, aber ein Bahnhofsgebäude hatte es noch nicht gegeben, das wurde erst ein Jahr später 1850 erbaut. Das Gebäude wurde später noch einmal ausgebaut. Im gleichen Jahr arbeiteten auf der Station ein Bahnaufseher und zwei Weichensteller.
Die von der Bergisch-Märkischen Eisenbahngesellschaft gebaute Bahnstrecke Krefeld – Anrath – Viersen – Mönchengladbach war zuvor freigegeben worden. Die Bahnstrecke sollte eine Verbindung vom Ruhrgebiet zu den Industriestädten Krefeld, Viersen und Mönchengladbach schaffen. Anfangs verkehrten auf der einspurigen Strecke Züge zwischen Viersen und Homberg. Erst mit der Fertigstellung der Verbindung Viersen-Mönchengladbach im Oktober 1851 war allerdings die Anbindung Anraths an die „große weite Welt“ wirklich geschafft und so konnten 1861 rund 29.000 Fahrgäste gezählt werden.
Passagiere, die damals im Anrather Bahnhof ausstiegen, erwartete ein „Rundum-sorglos-Paket“: Im Gebäude gab es ein gut gehendes Restaurant. Gleichzeitig bot die Anrather Familie Melchers ihre Dienste als Fuhrunternehmen, Taxiund Busbetrieb an. Im Obergeschoss befand sich eine Wohnung und die Familie pflegte den idyllischen Bahnhofsgarten.
Ende des 19. Jahrhunderts war die Zahl der Fahrgäste, die in Anrath befördert wurden, auf mehr als 170.000 angestiegen. Etwa zur gleichen Zeit wurde auf der Strecke der Haltepunkt Forsthaus eingerichtet. Im März 1909 folgte eine Eisenbahnstation in Hochbend. Mit bescheidenem Erfolg: Ganze 1.299 Fahrkarten verkaufte der dortige Schrankenwärter im gesamten Jahr.
1917 ist die Strecke um ein zweites Gleis erweitert worden. Auf die Zahl der Passagiere in Anrath hatte dies aber keinen großen Einfluss. Das gilt auch für einen Preis, der im Jahr 1935 verliehen wurde: Die Station in Anrath wurde damals als „Deutschlands schönster Bahnhof“ ausgezeichnet. Zu verdanken hatte sie dies vor allem den vielen schönen Rosenbögen, Tulpen und Narzissen, die rundherum blühten – und den mächtigen Kastanien, die heute noch ein Überbleibsel vergangener Zeiten sind.
1964 war die Zeit der Dampflokomotiven auch in Anrath fast vorbei: Die Strecke wurde elektrifiziert. Doch das immer maroder werdende Bahnhofsgebäude brauchte schließlich niemand mehr: Bereits 1963/1964 wurde der Anbau abgerissen, im April 1976 dann auch das Bahnhofsgebäude, in dem zuletzt noch ein älteres Ehepaar gewohnt hatte.
Das Ende des Gebäudes bedeutete in Anrath nicht das Ende des Bahnverkehrs. In den 90er Jahren wurde ein neuer Bahnsteig gebaut. Übrig blieb nur noch das Stellwerk. Auch dieses wurde schließlich im April 2002 abgerissen und es folgte der Ausbau einer Park & Ride-Anlage mit 62 Parkplätzen. Im März des folgenden Jahres wurde eine Anlage mit 50 Fahrradboxen fertig gestellt. Bis heute halten etwa vier Mal in der Stunde Züge in Anrath – womit der älteste Bahnhof der Stadt Willich auch der letzte ist.
„Rettet die Anrather Kastanien“
2011 erwarb die Stadt Willich von der Deutschen Bahn ein Gelände an der Nordseite des Bahnhofs, um dort eine Park & Ride- Anlage zu bauen. Gegenstand des Kaufvertrags war auch die Fällung von neun alten Rosskastanien. Die Stadtverwaltung argumentierte für die Fällung, da ein Gutachten Schäden an den Bäumen festgestellt habe. Gegen diesen Plan bildete sich eine Bürgerinitiative „Rettet die Anrather Kastanien“. Sie sammelte mehr als 2.000 Unterschriften für den Erhalt der Bäume. Im November 2011 legte die Verwaltung dem zuständigen Umweltausschuss ein neues Gutachten vor: Dieses besagte, dass die Kastanien zwar Vorschäden aufwiesen, durchaus aber noch 15 Jahre erhalten bleiben könnten. Aufgrund dieses Gutachtens votierte der Ausschuss einstimmig gegen die Fällung der Kastanien und gab stattdessen eine Ultraschall-Untersuchung in Auftrag.