2017 ist das „Luther-Jahr“ – am 31. Oktober 1517 veröffentlichte Martin Luther seine 95 Thesen. Dieser „Thesenanschlag in Wittenberg“ gilt als Beginn der Reformation. 500 Jahre später ist dieses Datum nicht einfach nur der Anlass für ein Jahr mit einem zusätzlichen Feiertag, sondern ein Anlass, sich auch heute noch mit vielen Fragen zu Konfession, Glauben und Toleranz auseinander zu setzen. Christa und Bernd-Dieter Röhrscheid aus Willich haben sich mit der Geschichte der Reformation in den vier Willicher Alt-Gemeinden befasst – und dabei viele interessante Details herausgefunden, die Bernd-Dieter Röhrscheid zu einem Vortrag zusammen gestellt hat.
Oekumenischer Kreis
Beachtenswert ist die Ausgangslage: Willich, Anrath, Schiefbahn und Neersen gehörten im 16. Jahrhundert zu „curcöln“ – also zum Herrschaftsgebiet des katholischen Kölner Erzbischof. Eine Karte aus dem Jahr 1566 zeigt allerdings, dass unsere Region auf beiden Seiten von reformatorisch geprägten Herrschaftsgebieten umgeben war. Es bleibt also die Frage: Wie machten sich Luther und die Reformation in unserem curcölnischen Gebiet bemerkbar? Oder spielten beide damals keine Rolle und die ev. Gemeinden entwickelten sich tatsächlich erst nach dem zweiten Weltkrieg, als Flüchtlinge und Vertriebene aus Ostdeutschland nach Willich kamen? (Nur eine Anmerkung: Diese Gruppe ist allerdings auch differenziert zu sehen. Ein anderes Willicher Forschungsprojekt zeigt, dass lediglich etwa zwei Drittel der eintreffenden Menschen tatsächlich auch evangelischen Glaubens waren.) Ausgangspunkt für die Recherche: Christa Röhrscheid war durch Zufall auf den Maler Kurt Beyerlein aufmerksam geworden, der im „Eschert“ mit seiner Frau Lore Beyerlein-Stockburger gewohnt hatte.
Der Maler war 1945 als Soldat bei einem Bombenangriff tödlich verletzt worden. Seine Frau hatte nach seinem Tod den Briefverkehr mit ihrem Mann als Buch herausgegeben. In einem Brief vom 24. Dezember 1941 schreibt Lore an ihren Mann: „Morgens war Gottesdienst in der großen Küche von Frau Müller. Es sind ja nur neun Evangelische im Dorf. Mir gefallen (Pfarrer) Remanns Predigten.“
Das, so Bernd-Dieter Röhrscheid, „war der Beginn unseres Wissens über die Evangelischen vor dem Zweiten Weltkrieg in Schiefbahn.“ Ein weiterer Hinweis war der auf einen „oekumenischen Kreis“ in Schiefbahn aus dem Jahr 1942: Dazu gehörte das Ehepaar Beyerlein als protestantische Christen, aber auch das katholische Ehepaar Macke, bei denen diese „ökumenischen Treffen“ stattfanden.
Streiflichter der Geschichte
Die Recherche Röhrscheids ging aber in viel frühere Zeiten zurück. So hat er sich etwa mit dem Kölner Erzbischof Gebhard Truchsess von Waldburg beschäftigt, der aber in wilder Ehe mit der Gerresheimer Stiftsdame Agnes von Mansfeld lebte und 1582 zum protestantischen Glauben übertrat. Nichts-destotrotz war es immer das Bestreben, dass Kurköln katholisch blieb – denn so blieben bei der Bestimmung des deutschen Kaisers die katholischen Kurfürsten in der Überzahl. Gebhard Truchsess wurde vom Papst exkommuniziert und verlor den Kölnischen Krieg gegen katholische Truppen aus Bayern. „Es blieb aber die Frage, wo es reformatorische Strömungen in den Alt- Gemeinden gab“, so Röhrscheid – und beim genauen Hinsehen gibt es einige. Beispielhaft seien genannt: 1554 wurden die Anrather vom Erzbischof vor „heimlichen Winkelpredigten“ gewarnt.
1554 wird berichtet, dass der Neersener Vogt Johann von Virmond der neuen Lehre zugetan gewesen sei und Anrather Bürger in Bonn Poppelsdorf verteidigt habe. Sein Sohn Ambrosius habe sich off en zum Calvinismus bekannt und erst dessen Sohn Johann kehrte wieder zum katholischen Glauben zurück. 1561 kam es zu einer Beschwerde aus Anrath über „neugläubige Umtriebe“. 1569 ist ein Eintrag in den „Visitations-Protokollen“ zu fi nden, nach dem einige Untertanen im Verdacht standen, der ev. Lehre zugetan zu seien. Der Anrather Pfarrrektor Johann ter Gathen von Hüls habe drei Kinder gezeugt und teile das Sakrament „in beiderlei Gestalt“ aus – so ein anderer Hinweis.
Über den Schiefbahner Pastor Paul Emporius wird 1569 berichtet, er missachte das Zölibat und sei „Konkubianer“. Von seinen rund 600 Kommunikanden seien 150 Anhänger des neuen Glaubens…
Die Moderne und das Ziel des Vortrags
Im weiteren Verlauf des Vortrags berichtet Röhrscheid, welche Folgen die Industrialisierung im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts gehabt hat und wie bzw. wann die ev. Kirchen in den vier Stadtteilen gebaut wurden. Sein Vortragsziel sei es, zu zeigen, dass wir heute viel weiter gekommen sind und die Pfarrer in Willich ökumenisch aufeinander zu gehen. Ein markantes Indiz: Obwohl 1995 der „Buß- und Bettag“ als Feiertag abgeschafft worden ist, wird in Schiefbahn immer noch an diesem Tag eine gemeinsame Veranstaltung evangelischer und katholischer Christen abgehalten – inkl. Lichterzug von einer Kirche zur anderen, berichtet Christa Röhrscheid. „Heute gibt es mehr Toleranz an der Basis“, lobt sie.
Diese ökumenische Bewegung sollte dringend weiter ausgebaut werden, so Röhrscheid – wobei sich die Situation entscheidend verbessert habe und die Konfession im Alltag keine entscheidende Rolle mehr spiele.
Infos zum Luther-Jahr auf www.luther2017.de